Ist das so? Leben wir in einem postfaktischem Zeitalter?
Postfaktisch – ist das Wort des Jahres 2016. Meine erste Reaktion darauf, war einfach nur: Nicht wirklich? Was soll das denn? Aber ist es denn falsch, oder gar schlecht? Postfaktisch wird als – ein tiefgreifender Wandel in der Gesellschaft, in der Emotionen wichtiger als Fakten sind – beschrieben. Dabei kommt der Begriff aus dem Englischen: post truth. Ausgelegt wird postfaktisch auf einen behaupteten Fakt, dass wir auf den Anspruch auf Wahrheit verzichten und Tatsache ignorieren.
Postfaktisch – gruselig, oder? Emotionen sind immer dabei
Ich finde den Begriff übrigens inzwischen gar nicht mehr so gruselig, manche Auslegung schon. Mir haben sich dazu verschiedene Fragen und Überlegungen aufgeworfen. 1. Zunächst finde ich es nicht schlimm, sondern gut, dass wir Menschen wieder zu unseren Emotionen zurückfinden. Mit Beginn des Maschinenzeitalters, der Industrialisierung haben wir begonnen alles zu negieren, was nicht dem Wissen und damit dem Verstand zuzuordnen ist. Emotionen waren „faktisch“ bedeutungslos, im Sinne von nicht tauglich für unser Handeln – besonders- im Management. Doch Niemand trifft Entscheidungen allein aus dem Verstand heraus. Dies haben Neurobiologen schon lange herausgefunden. Vernünftige Entscheidungen sind das gute und vernetzte Zusammenspiel von Verstand und Gefühl. Und dies passiert naturgemäß übrigens ganz automatisch. Das ist ein Fakt!
Wahrheit in Fakten. Doch was ist schon wahr?
Eine weitere Überlegung ist: Was ist Wahrheit? Wer bestimmt eigentlich, was wahr, was wirklich ist? Wenn Menschen etwas in ihrer eigenen individuellen Wahrnehmung fühlen, empfinden, dann ist es für den Einzelnen Wirklichkeit. Mit unseren Gedanken und Gefühlen kreieren wir bekanntlich unsere Welt, unsere Wirklichkeit und damit unsere Wahrheit. Auch dies sind im weiteren Sinne Fakten, denn sie sind die Grundlage für unsere Handeln. Ist das verwerflich?
Emotionen wichtiger als Fakten. Emotionen sind Fakten
Ja, aber postfaktisch bedeutet doch, dass Emotionen wichtiger als Fakten erscheinen! Genau. Wenn also unsere Emotionen Wirklichkeit schaffen, dann schaffen auch sie Fakten. In diesem Sinn ist der Begriff irgendwie selbst Irrsinn, denn wir können, wenn wir die Rolle menschlicher Emotionen anerkennen, sie nicht als unwirklich titulieren? Jetzt wird es kompliziert!?
Dazu kommt, dass es auch ein Fakt ist, dass wir wieder zu unseren Emotionen zurückfinden müssen, dass wir lernen müssen auf unsere Gefühle auf unsere Intuition zu vertrauen.
Gute Entscheidungen im Wandel. Nicht ohne meine Intuition
Warum? In Zeiten des rasanten Wandels, in Zeiten, in denen Wissen schneller veraltet, als es aufgeschrieben wurde, braucht es ein gutes Zusammenspiel von Verstand und Emotion. Nur so können wir es schaffen gute, also risikokompetente Entscheidungen zu treffen. Die Zeit in der Wissen uns das „Gefühl“ gab, dass Wissen Bestand hat, dass es sicher ist, sind längst Vergangenheit. Auf jeden Fall ist das Schaffen von Klarheit – über eine gewissenhafte Informationssuche – wichtig. Doch letztlich hätte sie ja in Zeiten des so rasanten Wandels und der Komplexität irgendwie nie ein Ende. Entscheidungen müssen oft sehr schnell und mit begrenzten Informationen getroffen werden. Und deshalb könnte postfaktisch, wenn es denn überhaupt zum Wort des Jahres 2016 taugt, genau auch dies beschreiben: Mut zum Gefühl! Mut klare Entscheidungen zu treffen, die beide Seiten vereinen. Unsere Großeltern hätten dies wohl als Entscheidung mit Herz und Verstand bezeichnet. Ist das so? Oder ist es auch vielleicht ganz anders?